Herr Schmitz, was sagen Sie? Was ist die richtige Reaktion auf falsche, verletzende oder einfach nur provakante Aussagen in Facebook-Kommentaren – antworten? Und wenn ja, wie?
Martin Schmitz: Zum Recht auf freie Meinungsäußerung gehört ebenso das Recht auf Provokationen nicht zu reagieren. Zwei Punkte sind zumeist ausschlaggebend, ob eine Reaktion sinnvoll ist. Zum einen der Kontext: Wie kam es zu der Frage, wer stellt die Frage, wann wird die Frage gestellt und wie wird die Frage gestellt. Zum Zweiten ist die Rollenverteilung wichtig: Wem wird die Frage gestellt, welche Rollen haben die Akteure in der Konversation? Geht es in der Kommentarspalte beispielsweise um eine Debatte zwischen Privatpersonen ist die Ausgangssituation eine andere, als wenn es sich um eine Diskussion mit Personen des öffentlichen Lebens oder mit nicht natürlichen Personen handelt. Ein Beispiel: Im privaten Kontext und häufig als anonymer Avatar sind Kritik und Provokationen sehr viel leichter vorgetragen als dies beispielsweise bei einer Person des öffentlichen Lebens oder als Unternehmen der Fall ist. Daher gilt es insbesondere für öffentliche und professionelle Akteure dieses Ungleichgewicht durch eine ganzheitliche Social-Media-Strategie auszugleichen.
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Die Frage ist, ob eine Diskussion dann nicht vielleicht völlig ausufert und in eine ganz falsche Richtung läuft. Theoretisch bekämen Querulanten dann eine unnötige Plattform – so zumindest die Meinung einiger, mit denen wir im Rahmen dieser Recherchen gesprochen haben. Ist das richtig?
Ob extreme Positionen sich herausgefordert sehen und noch mehr Diskussionen entstehen, hängt maßgeblich mit der eigenen Kommunikationsstrategie zusammen. Je nach Ausgangs- und Rahmenbedingungen kann es gut sein, Querulanten, ewigen Nörglern, Verhaltensweisen des Typs „Keyword Warrior beziehungsweise Tastaturkrieger“ keine Reichweite für deren Unsinn zu bieten. Ganz nach dem Prinzip „Don’t feed the troll – Trolle bitte nicht füttern“. Andererseits überwiegen bei professionellen Akteuren in der Regel die Situationen, in denen eine Reaktion als Klarstellung erforderlich ist.
Im Rahmen der Recherche kam auch heraus, dass viele gerne einmal antworten würden. Wieso sind die Hemmungen so groß, sich in eine Diskussion einzumischen?
Nach über 30 Jahren digitaler Revolution sind noch immer viele Menschen nicht mit dem notwendigen Wissen und den erforderlichen Fähigkeiten ausgestattet, um sattelfest in der digitalen Sphäre zu kommunizieren. Es fehlt an grundlegendem Verständnis für Social-Media-Architektur und Mechanismen. Die Fähigkeit, das kostenfrei im Web bereitstehende Wissen im Alltag produktiv anzuwenden stellt für viele Menschen eine größere Schwierigkeit dar. Es fehlt an der erforderlichen Medienkompetenz. Begriffe wie „Whataboutism“ oder „Clickbait“ sollten geläufig sein. Es reicht häufig schon kritisches Denken, um beispielsweise nicht auf Fake News oder wirre Theorien hereinzufallen. In erster Instanz sollte stets hinterfragt werden, wem schenke ich gerade meine Zeit, wem höre ich zu, wer kommuniziert mit mir, wie kompetent kann diese Person sich zu dem Thema äußern? Mit diesem Einstieg ist die Gewichtung des gesagten oder geschriebenen Wortes deutlich zielführender als ohne Rückfrage. In der breiten Masse nicht zu reagieren, ermutigt die Rädelsführer in aller Regel häufig sogar noch. In der hypervernetzten Welt des 21. Jahrhunderts mit völlig unterschiedlichen Motiven der Akteure ist kein Kommentar undenkbar, keine Kuriosität aufregungsintensiv genug, keine Falschaussage oder Behauptung zu dreist. Nur mit Medienkompetenz kann der ausgeuferten Aufregungsökonomie der entfesselten Skandale Einhalt geboten werden.
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Wie sähe der richtige Umgang mit Kritik denn Ihrer Meinung nach aus?
Es gibt mehrere etablierte Kommunikationstechniken, die selbst bei massiver Kritik wirksam sind. So werden beispielsweise Antworten auf einen Hasskommentar oder auch auf Schmähkritik klugerweise häufig nicht an den Redner selbst, sondern an die gesamte Community in der Kommentarspalte formuliert. Sprache bietet viele Instrumente, die zusätzlich genutzt werden können: Ironie, Sarkasmus und Zynismus öffnen gut zugängliche Argumentationsebenen. In Kombination mit den besonderen Kulturtechniken der digitalen Sphäre – etwa Memes oder weit verbreiteten Redewendungen ein zuverlässiges „Gegengift“. Äußert sich beispielsweise Mister X abfällig über kriegsvertriebene Menschen aus der Ukraine könnte die entlarvende Antwort lauten: „Was ist Rassismus? Mr X: Ja!“. Kritisiert Frau Y die Investitionspläne eines Bauvorhabens könnte die Antwort lauten: „Frau Y weiß es besser, warum eigentlich? Frage für einen Freund“. Entbrennt ein Streit in der Kommentarspalte ist das Posting eines Popcorn essenden Memes üblich, um die Rolle des Mitlesers mit der Rolle eines Kinobesuchers zu vergleichen. Es geht also um die Art und Weise der Reaktion.
„Es sind ja immer die gleichen, die etwas negatives schreiben oder Kritik äußern.“ Ein Satz, den wir schon häufig an diesem Wochenende gehört haben. Aber wer am lautesten schreit, wird auch irgendwann gehört, oder? Entsteht so nicht die Gefahr eines falschen Bildes?
Eine zahlenmäßig kleine, jedoch gut organisierte Gruppe mit starken Glaubenssätzen kann in Summe wesentlich effektiver sein, als eine zahlenmäßig deutlich größere, jedoch schlechter organisierte Gruppe. Die Historie ist voll mit entsprechenden Beispielen. „Trolle“ profitieren zudem von einer Vielzahl digitaler Mechanismen. So sorgen beispielsweise die Filter-Algorithmen von Suchmaschinen oder Social Media Plattformen dafür, dass sogenannte relevante Kommentare und Diskussionen sehr viel sichtbarer sind, als vermeintlich irrelevante. Was relevant ist, entscheiden die Menschen in den Plattformen indirekt durch das eigene Verhalten. Was wem zu welchem Zeitpunkt angezeigt wird, entscheiden die Filter-Algorithmen. Ein häufig vorgetragener Kritikpunkt an digitalen Geschäftsmodellen lautet entsprechend in etwa wie folgt: Filter-Algorithmen machen auf Dauer intolerant und zerstören damit den Zusammenhalt der Gesellschaft. Denn durch die gefilterte Realität entsteht ein extremes Zerrbild, dass mit der objektiven Realität nichts mehr gemein hat. Die Filter funktionieren so, dass die Menschen in ihren Haltungen und der individuell bereits vorhandenen Weltanschauung bestärkt werden. Dadurch verbringen die Menschen mehr Zeit in Social Media, digitale Plattformen verdienen auf dieser Grundlage mehr Geld. Nur darum geht es den Plattformen am Ende des Tages.
Richtig ist außerdem, dass genau die Menschen, die besonders aktiv in Social Media sind durch Algorithmen ausgetrickst werden können. So entsteht im Laufe der Zeit ein doppelt verfälschtes Bild: Für eine breite Öffentlichkeit als auch für die in Social Media besonders aktiven Menschen selbst. Lautes, Irreführendes oder Falsches zu veröffentlichen wird in der digitalen Welt auf unterschiedliche Weise nahezu ausnahmslos positiv honoriert. Der Zugewinn an Aufmerksamkeit, Bedeutung und sozialer Anerkennung ist in kaum einem anderen Lebensbereich so schnell, mit so wenig Aufwand und mit so geringer Qualifikation möglich, wie in Social Media. Aktuelle Forschung bestätigt den Verdacht, dass Menschen in gewissen Lebenssituationen, ausgestattet mit gewissen Persönlichkeitsmerkmalen und gewissen Weltanschauungen besondere Affinität für überproportionale Aktivität in Social Media aufweisen.
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Das, was in unseren heimischen Facebook-Gruppen passiert, ist – zum Glück – noch weit weg von einem richtigen Shitstorm. Aber was mache ich, wenn mich genau so einer mal trifft?
Bei einem Shitstorm sehen sich Privatpersonen, Personen des öffentlichen Lebens oder auch nicht natürliche Personen massiver Kritik und Beleidigungen in sehr hoher Anzahl und in extremen Formen ausgesetzt. Eine allgemeingültige Empfehlung zum Umgang mit Shitstorms gibt es nicht. Es kommt auch hier auf den Einzelfall an. Hat eine eigene Veröffentlichung den Shitstorm ausgelöst, ist häufig zu beobachten, dass der Beitrag deaktiviert oder dauerhaft entfernt wird. Das löst nicht zwangsläufig den Shitstorm auf, kann in seltenen Fällen zu noch wütenderen Kommentaren führen. Professionelle Accounts mit höherer Reichweite und starker Loyalität innerhalb der Community profitieren häufig durch ihr bestehendes Publikum. Dabei verteidigen Fans und Follower den Account gegenüber Trollen und Kritikern. Gegenüber diesen beiden defensiven Herangehensweisen können allerdings auch offensive Ansprache der Trolle, kreative und unkonventionelle Herangehensweisen wirksam sein. Weit verbreitet ist zudem das Prinzip „wer fragt der führt“. Durch gezielte Fragestellung werden Kritikern und Trollen beliebte Werkzeuge wie beispielsweise die Verallgemeinerung und die Verkürzung komplexer Sachverhalte entzogen. Starke Bürger und starke Mitarbeiter stellen insbesondere professionelle Akteure immer wieder vor Herausforderungen. Mit guter Social-Media-Strategie und kluger Krisenkommunikation kann Trollen und Kritikern jedoch wirksam begegnet werden.
Viele gaben an, Social Media zu meiden. Ist das der richtige Weg für Funktionsträger?
Die Vermeidung der direkten Interaktion ist ein möglicher Weg. Allerdings kein empfehlenswerter Weg. Wer nicht in Social Media vertreten ist, wird vielleicht nie erfahren warum das eigene Unternehmen plötzlich keine Kunden mehr hat, warum keine Mitarbeiter mehr gewonnen werden können, warum die Wahlniederlage absehbar war. Nicht präsent zu sein, stellt das wesentlich größere Risiko dar. Für Funktionsträger gilt es, sich professionell mit den Mechanismen und Lösungen zur Social-Media-Kommunikation auseinanderzusetzen. Es gibt zahlreiche Beispiele vor allem jüngerer Funktionsträger, die Social Media sehr erfolgreich nutzen.
Wie sieht gute Social-Media-Kommunikation aus?
Wir brauchen Kommunikation, wie sonst könnten wir zumindest in groben Zügen unsere Welt verstehen. Gute Social-Media-Kommunikation setzt dabei auf aktuelle Inhalte. Kontroverse Themen sind erlaubt. Es geht um Diskurs auf Augenhöhe, um ein Mindestmaß an Respekt im Umgang miteinander. Diskussionen sind wichtig und in vielen Fällen notwendig wie auch wünschenswert. Die Dosis macht das Gift – insbesondere in Social Media. Vereinfacht ausgedrückt: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu.“
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