Cannabis-Legalisierung: Die Einschätzungen der LWL-Experten

Das Bundeskabinett hat die teilweise Legalisierung von Cannabis beschlossen, das Gesetz soll bis Ende 2023 in Kraft treten. Über das Für und Wider ist eine bundesweite Diskussion entbrannt.

In einer Pressemitteilung vom 29. August äußern sich Suchtexperten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) wie folgt zum Thema.

Stefan Kühnhold, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt:

„Cannabis ist eine psychoaktive Substanz, die eine Reihe unerwünschter Nebenwirkungen haben kann. Insbesondere sind dies Reifungsstörungen bei Jugendlichen, Psychosen und Abhängigkeiten.

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Verglichen mit den körperlichen und psychischen Folgen anderer Substanzen mögen diese Risiken gering erscheinen. Dennoch sehen wir in der Psychiatrie sehr viele Menschen, die an den Folgen eines Konsums leiden und stationär behandlungsbedürftig geworden sind.“

„In keinem Land hat sich durch eine Legalisierung die Zahl der gesundheitlichen Probleme verringert“

Stefan Kühnhold

Wegen dieser Folgen müsse sich jegliche Gesetzgebung zur Frage des Umganges mit Cannabis daran messen lassen, ob es hiermit gelingt die Zahl der Betroffenen zu verringern. Man werde aber feststellen, dass sich bisher in keinem Land, das Cannabis freigegeben hat, die Zahl der an einer Sucht Erkrankten beziehungsweise der gesundheitlichen Probleme verringert habe, so Kühnhold. „Genauso wenig ist es irgendwo zu einer gesundheitsbewussteren Einnahme gekommen – ein Argument, das Befürworter gerne ins Feld führen.“

Stefan Kühnhold, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt. – Foto: LWL

Leider fänden sich auch im jetzigen Gesetzesvorhaben keine Maßnahmen, die wirksam eine Begrenzung des Konsums in Deutschland erwarten lassen: „Zu befürchten ist daher eher die Zunahme der Einnahmemenge und damit auch eine Zunahme der mit Cannabis verbundenen psychosozialen Probleme.“

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Therapeutisch sinnvoll erscheine laut Kühnhold nur, dass mit einer Freigabe die Strafverfolgungsmaßnahmen entfallen. „Bisher haben Prävention, Behandlung und andere Unterstützungen nur eine geringe Rolle gespielt. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung nachlegt und ihrem Versprechen, mehr für Prävention und Behandlung von Substanzfolgestörungen zu tun, auch Taten folgen lässt.“

Arne Lueg, Chefarzt der Abteilung für Suchtmedizin in der LWL-Klinik Dortmund:

Seines Erachtens sei es richtig, dass eine Legalisierung von Cannabis nicht ungerichtet und flächendeckend erfolgt, sondern bestimmten Regeln unterliegt, um besonders gefährdete Gruppen zu schützen, sagt Arne Lueg: „So ist der Verkauf von Alkohol oder Zigaretten ja ebenfalls an Bestimmungen gebunden und darf daher etwa nicht einfach an Kinder und Jugendliche erfolgen.“

Arne Lueg, Chefarzt Abteilung für Suchtmedizin, LWL-Klinik Dortmund. – Foto: LWL

„Auch wenn der Konsum von Cannabis ein im Vergleich mit anderen Drogen eher niedriges Gesundheitsrisiko darstellt, so sind das Suchtpotenzial und die Folgen des Konsums nicht zu unterschätzen“, warnt Lueg.

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Gerade junge Menschen seien gefährdet und könnten nach regelmäßigem Konsum beispielsweise eine Psychose entwickeln, die sich chronifizieren könne, selbst wenn der Konsum irgendwann gestoppt wird. Aber auch Depressionen würden eine Rolle spielen und könnten sich durch Cannabiskonsum verstärken. Und durchaus könnten ebenso noch Konsumenten mittleren oder höheren Alters ein sogenanntes „amotivationales Syndrom“ entwickeln, das mit erheblicher Interessen- und Antriebslosigkeit einhergehe.

„Gerade junge Menschen sind gefährdet.“

Arne Lueg

„Ich sehe eine Legalisierung daher grundsätzlich kritisch, wenngleich ein mündiger Bürger sicherlich selbst entscheiden sollte, was er zu sich nimmt und was nicht. Wichtig bleibt daher, Aufklärung zu betreiben und auf potentielle Gefahren hinzuweisen“, so Lueg. Auch sei es wichtig, vor allem Behandlungsangebote in Bezug auf Cannabis zu stärken und niederschwelliger möglich zu machen: „Aktuell ist es noch immer sehr aufwendig, einen stationären Entzug bei Cannabisabhängigkeit durchführen zu können.

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Im Bereich Alkohol- oder Heroinabhängigkeit sind stationäre Entzugstherapien schon lange etabliert. Hier sollte in Zukunft nachgebessert werden.“

Jutta Settelmayer, Chefärztin der Abteilung für Suchtmedizin der LWL-Klinik Münster:

„Grundsätzlich bin ich für eine Cannabis-Legalisierung. Die aktuelle Verbotslage – Alkohol und Nikotin sind erlaubt, alles andere verboten – suggeriert sowohl Harmlosigkeit als auch Gefahren an den falschen Stellen“, sagt Jutta Settelmayer. Wichtig sei mehr seriöse Aufklärung bereits in jungen Jahren: „Also unbedingt schon bevor die Jugendlichen anfangen, mit verschiedenen Suchtmitteln zu experimentieren.“

Jutta Settelmayer, Chefärztin Abteilung Suchtmedizin, LWL-Klinik Münster. – Foto: LWL

Für die Legalisierung spreche, dass Menschen, die Cannabis konsumieren möchten, nicht zwangsläufig Kontakt mit einer kriminellen Szene herstellen müssen, außerdem die Qualitätskontrollen, führt Settelmayer an und betont: „Wichtig ist, dass eine Abgabe an Minderjährige weiterhin verboten bleibt.“

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Zahlen aus Ländern, in denen Cannabis bereits legalisiert ist, würden allerdings dafür sprechen, dass die Konsumentenzahlen zunehmen werden: „Außerdem halte ich die Pläne der Bundesregierung für unausgewogen – so sind die Mengenbegrenzungen etwa wenig nachvollziehbar.“ Auch die „Clubidee“, also der Bezug von Cannabis über nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen, sei viel zu kompliziert.

Frank Schulte-Derne, Sachbereichsleiter der LWL-Koordinationsstelle Sucht:

„Das ambitionierte Vorhaben ist grundsätzlich anzuerkennen“, sagt Frank Schulte-Derne. Es sei allerdings fraglich, ob der jetzige Gesetzesentwurf den Gesundheitsschutz und den Kinder- und Jugendschutz sowie die Prävention und Frühintervention wie beabsichtigt stärken werde. „In jedem Fall ist davon auszugehen, dass Herausforderungen der Suchtprävention und Suchthilfe ansteigen und bewältigt werden müssen.“

Frank Schulte-Derne, Sachbereichsleiter LWL-Koordinationsstelle Sucht. – Foto: LWL

Die LWL-Koordinationsstelle Sucht habe als zentralen Aspekt die Altersgrenze von mindestens 21 Jahren für den erlaubten Cannabiskonsum in die Diskussion eingebracht, bemerkt Schulte-Derne. Vor dem Hintergrund der Hirnreifung sei die Altersgrenze ab 18 Jahren „generell als kritisch zu betrachten“ und eine Begrenzung des THC-Gehaltes für 18 bis 21-Jährige sei daher nur ein Kompromiss.

„Vor dem Hintergrund der Hirnreifung ist die Altersgrenze ab 18 Jahren generell als kritisch zu betrachten.“

Frank Schulte-Derne

Der Sachbereichaleiter erklärt: „Das vorgesehene Konsumverbot für Minderjährige erachten wir als richtig. Dass der Frühintervention beim Verstoß dagegen eine zentrale Rolle eingeräumt wird, begrüßen wir, da so ein wichtiger Beitrag zur Identifizierung besonders vulnerabler junger Menschen geleistet werden kann und möglichst früh Hilfen angeboten werden können.“

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Dies zeige auch das vom LWL entwickelte Frühinterventionsprogramm „FreD“, das bundesweit an 220 Standorten angeboten wird: „Aktuell entwickeln wir eine digitale Version, ein Fokus wird auf dem Bereich Schule beziehungsweise Schulsozialarbeit liegen.“ Aber auch hier gelte: „Die besten Programme wirken nur, wenn sie in den Kommunen vor Ort gut umgesetzt werden können.“

Dr. Ingbert Rinklake, Ärztlicher Direktor der LWL-Maßregelvollzugsklinik Schloss Haldem in Stemwede und des LWL-Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Münsterland in Hörstel:

„Nicht jeder, der Cannabis konsumiert, ist suchtkrank, Todesfälle sind praktisch nicht bekannt“, so Dr. Ingbert Rinklake. Dennoch sei es das Therapieziel bei jedem Abhängigkeitserkrankten, Abstinenz vom Suchtmittel zu erreichen. Um neue Delikte zu verhindern, sei für Patienten im Maßregelvollzug eine absolute Abstinenz besonders wichtig, da ihre Suchterkrankung in der Vergangenheit bereits zu einer oder sogar mehreren Straftaten geführt habe.

„Der Schwarzmarkt wird bestehen bleiben.“

Dr. Ingbert Rinklake

„Mit der Cannabislegalisierung wird meiner Meinung nach keine ‚Austrocknung‘ des Schwarzmarktes erreicht: Der Preis von legalem und qualitativ hochwertigem Cannabis ist höher als auf dem Schwarzmarkt – das liegt daran, dass mehrere Akteure wie Erzeuger oder Qualitätsprüfer beteiligt sind und Steuerabgaben anfallen. Suchtkranke Menschen werden also nach wie vor günstigeres und damit häufig minderwertiges Cannabis konsumieren und gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen.

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Übrigens werden auch jugendliche Suchtkranke weiterhin auf den Schwarzmarkt ausweichen und nicht etwa über Dritte mit ursprünglich legal erworbenem Cannabis ‚versorgt‘ werden“, meint Rinklake. Das liege vor allem daran, dass die Weitergabe von legal gekauftem Cannabis leichter nachzuweisen sei.

Dr. Ingbert Rinklake, Ärztlicher Direktor LWL-Maßregelvollzugsklinik Schloss Haldem (Stemwede) und des LWL-Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Münsterland (Hörstel). – Foto: LWL

Somit sei die Zielgruppe der Legalisierung am ehesten auf eine finanzkräftigere Kundschaft ausgerichtet – also eine Gruppe, die nur gelegentlich konsumiere und kein größeres Abhängigkeitspotential besitze. „Vulnerables Klientel, also Menschen, die ohnehin Suchtprobleme haben, ist gesundheitlich dagegen stark gefährdet, so dass eine Zunahme der Fallzahlen zu erwarten ist.“

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